Augenblicke einer Ehe

(von einer jungen Nachbarin gedichtet)



65 Jahre sind eine verdammt lange Zeit,
meine eigenen 40 scheinen mir eine kleine Ewigkeit!
So weiß ich denn auch einiges zu berichten
an nachbarlichen Ehegeschichten:

Vor vielen Jahren, ich kann mich noch gut entsinnen,
hängte Familie S. den Wohnwagen an und zog von hinnen.
Doch vorher gab es noch `ne Kleinigkeit zu tun
und man sah die Beiden nicht eine Minute ruhn.

Die Dame des Hauses, die packte ein:
nicht Schminktäschchen und Negligé oh nein,
Gulaschtopf und Kuchenblech, das war ihr Metier.
Ihr Gemahl indes mit geübtem Griff
gab Auto und Gespann den letzten technischen Schliff.

Mir erschienen diese Reisen gar abenteuerlich und wundersam,
bis eines Tages auch für mich die große Wende kam.
Die Nachbarn riefen: Hallo, seid ihr bereit?!
Und endlich, jenseits von Kärnten, erlebte ich eine aufregende Zeit.

Weniger als 2/3 dieser Lebensgemeinschaft durfte ich mit erleben,
doch auch andere Szenen dieser Ehe blieben mir im Gedächtnis kleben:

Eines Tages, ich schaute aus dem Fenster, mich packte der Graus,
welch` ungeheure Dinge mußte ich beobachten am Dach vom Nachbarhaus!
Herr S. hatte ein Rendezvous - natürlich mit dem Kamin.
Frau S. gab sich in der Küche hemmungslos der Kochkunst hin.

An manch` sonnigen Nachmittagen im Garten
kann die Luise die Kaffeezeit kaum erwarten.
"Toni, der Apfelstrudel is` fertig, der Kaffee auch, schnei kumm!"
Ja, doch der Toni, der fummelt immer noch auf dem Apfelbaum herum.

Außerdem ist mir ins Ohr gekommen,
dass Frau S. des nachts ein Bad genommen.
Doch die Badewanne, die verzwackte,
machte, dass die Dame in ihr versackte!

Der Gemahl, der sollte zu Hilfe eilen,
tat er doch im nächsten Raume weilen!
Die Hilferufe von der Ehefrau mussten ungehört verhallen,
dem Herrn des Hauses tut sein Hörgerät besser ohne Ton gefallen.

Stundenlang sieht man den Nachbarn liebevoll vertikutieren,
und sich erfreuen der stattlichen Vierbeiner, die seien Rasen zieren.
Doch was ist das? Er zählt sie durch und dann nochmal - verflixt:
eine der Schildkröten ist schon wieder ausgebüchst.
Frau S. verfolgt all` dies besorgten Blickes und mit Schmerz,
denn sie weiß, der Schildkröt` Verschwinden bricht Toni fast das Herz.
Lieber Herr S., wenn Sie mal wieder nach den Tierchen jagen,
dann sollten Sie auf keinen Fall verzagen.

Schaun Sie lieber Ihre Gemahlin an;
die läuft Ihnen nicht weg, und das schon 65 Jahre lang!

Von ganzem Herzen alles Liebe und Gute
Ihre Michaela

30. Oktober 2002

zurück Gästebuch weiter