Eine arktische Winterliebe:

Nanukas Junges war in der Todesfalle




Jede Freundschaft wird intensiver, wenn das Eis erst mal gebrochen ist. In der Beziehung zwischen Malcolm Ramsay und seiner dickfelligen Freundin Nanuka ist es genau umgekehrt: Wenn im Frühjahr endlich das Eis bricht, liegen elf Monate der Trennung vor ihnen. Nanuka wird umherziehen, einen Partner suchen und sich von ihm trennen, sobald sie schwanger ist. Malcolm wird in der Zeit als Wissenschaftler an der Universität in Saskatchewan in Kanada lehren. Als Zoologe weiß er, das Mensch und Eisbär keine Freunde sein können – eigentlich. Als Mensch hat er erfahren, daß die Wirklichkeit aufregende Ausnahmen zulässt.

Mit einem Kollegen war Malcolm vor fünf Jahren auf dem Eis der arktischen Barrow Strait, um Eisbären zu beobachten. Sie hörten jammervolle Schreie, und an einem Eisloch fanden sie ein Eisbärjunges in der Falle. Die hatten Inuit-Jäger aufgestellt, um Robben zu fangen. Das ist Eskimos erlaubt, selbst wenn oft Eisbären darin verenden. Die Mutter irrte verzweifelt um ihr Junges herum. Malcolm schoß einen Narkosepfeil ab, und als sie betäubt dalag, befreiten sie das Junge. Malcolm nah es auf den Arm um es zu vermessen, wiegen und mit einer Marke versehen zu können. Dann ließ er es frei. Als die Mutter erwachte, beschnupperte sie ihr Junges und warf den Männern im Eismobil einen langen Blick zu.

Vor der Eisschmelze erkannte Malcolm Nanuka (Inuit: Eisbärin) in der Nähe seiner winterlichen Forschungsstation wieder. Malcolm fuhr mit dem Buggy an sie heran und öffnete das Fenster – ein Impuls. „Völlig irre“, sagte er, „Ich weiß, dass das lebensgefährlich ist. Aber sie steckte den Kopf herein, beschnupperte mich und sah mich an. Es wirkte fast, als wollte sie sich bedanken. Das macht Nanuka immer nur einmal in jedem Frühjahr. Wenige Tage danach bricht das Eis, und sie zieht fort.“

von T.F. Emmiot